4-TEILIGE PROGRESSION - Zustand 2024 (Foto: Dr. Hubert Göbel)
Kunst in der Landschaft der Fahner Höhe (Teil 2)
Die Stadt Erfurt hat vor nunmehr drei Jahrzehnten fünf Kunstwerke im Rahmen des Projektes „Fahner Höhen Kunst in der Landschaft“ bei namhaften, international renommierten Künstlern in Auftrag gegeben und auf Witterdaer Gemeindeland positionieren lassen (s. Beitrag vom 16.7.).
Dr. Hubert Göbel, Ortschronist von Witterda, hat in einem fundierten, umfassenden Beitrag die Details zusammengetragen und unserer Redaktion zur Verfügung gestellt. Komplettierend zu den gestern publizierten Informationen werden heute hier die verbliebenen vier Kunstwerke vorgestellt:
4-TEILIGE PROGRESSION
Künstler: Hellmut Bruch, Jahrgang 1936, lebt und arbeitet in Hall/Tirol
Die unmittelbar an der Straße nach Friedrichsdorf stehende Arbeit besteht aus vier geschliffenen Edelstahlrohren. Sie entsprechen in ihren Maßen einer mathematischen Zahlenfolge, die nach Leonardo Fibonacci, einem bedeutenden italienischen Rechenmeister des Mittelalters, benannt ist. Die Länge eines Rohres ergibt sich dabei aus der Summe der beiden vorangegangenen Längen, hier 2 Meter (1 m + 1 m), 3 Meter (2 m + 1 m), 5 Meter (3 m + 2 m), 8 Meter (5 m + 3 m). Der Betrachter kann in seiner Vorstellung das schnelle Anwachsen in große Höhen ergänzen, ja bis ins Unendliche fortsetzen. Die Zahlen dieser Folge liegen vielen Wachstums- und Bildungsgesetzen in der Natur zugrunde. So findet man die Zahlenverhältnisse zum Beispiel bei spiralförmig angeordneten Blättern und Samenständen von Pflanzen wie etwa der Sonnenblume.
Der Künstler Hellmut Bruch, dessen „Große Kreisform“ aus Edelstahl vor dem Neubau des Katholischen Krankenhauses in Erfurt vielen bekannt sein dürfte, will in seinen Werken auf die Schönheit des Wechselspiels von Natur und Kunst aufmerksam machen und stets die Verantwortung des Menschen für die Natur anmahnen.
GEBROCHENE SCHNEIDE
Künstler: Helmut Senf, Jahrgang 1933, lebte und arbeitet bis 1994 in Erfurt, seither in Sassnitz/Rügen
Eingebettet in den Wiesenrand scheint die rote, aus Indusriestahl geschweißte Plastik durch ihre Form der Landwirtschaft zugehörig und erweist sich dennoch als eine Kunstform. Den Vorübergehenden bietet sie sich zum Sitzen und Verweilen an.
Am ursprünglichen Standort 1994 unterhalb des Alten Sportplatzes (Foto: Heidemarie Bierwisch, Kuratorin des Projektes)
Heutiger Standort neben der Linde am sog. Roten Kreuz (Foto: Dr. Hubert Göbel)
FÜNF DREIECKE AUS EINEM QUADRAT
Künstler: Ben Muthofer, Jahrgang 1937, gestorben 2020, lebte und arbeitete in München
Ben Muthofer ist ein international renommierter Künstler, dessen Werke in zahlreichen Museen und auf Freiflächen Europas und den USA zu sehen sind, z.B. im Olympiapark in München.
In Witterda bildete seine pulverbeschichtete weiße Plastik aus Aluminium in 20 mm Stärke mit einer Grundfläche von 2,50 m x 2,50 m und einer Höhe von 3,40 m oberhalb der Böschung in der Kurve der Friedrichsdorfer Straße gleichsam den Anfang des Skulpturenweges. Schon auf der Landstraße von Elxleben war die senkrecht stehende Spitze wie eine Kompassnadel zu sehen. Das wie hochgeklappt wirkende, senkrechte Dreieck gibt den Boden zwischen den beiden liegenden Dreiecken Raum, damit dort die Wiese durchwachsen und so eine Verbindung von Kunst und Natur entstehen kann.
Leider ist dieses Kunstwerk heute nicht mehr zu sehen und der ursprüngliche Standplatz ist inzwischen mit Gebüsch zugewachsen. Nachdem das aufrecht stehende Dreieck mehrfach umgerissen worden war, wurde es bereits Mitte der 1990er Jahre von der Gemeindeverwaltung sichergestellt und verwahrt. Die verbliebenen liegenden Dreiecke „verschwanden“ auf unerklärliche Weise einige Monate später ebenfalls. Wie sich inzwischen herausstellte, sollen sie sich in Witterda befinden. Die Gemeindeverwaltung bemüht sich seit mehr als einem Jahr, bisher leider erfolglos, alle Teile der Plastik wieder zusammenzubringen. Vielleicht gelingt es doch noch, das Kunstwerk an anderer Stelle neu aufzurichten.
Zustand 1994 bei der Übergabe (Foto: Heidemarie Bierwisch)
VERZAHNUNG
Künstler: Josef Linschinger, Jahrgang 1945, lebt und arbeitet in Traunkirchen (Österreich)
Die 3,60 m hohe Verzahnung aus lackierten Stahlplatten stand 29 Jahre an weithin sichtbarer Stelle oberhalb der alten Linde auf der Anhöhe zwischen Witterda und Friedrichsdorf. Die gegeneinander gelehnten Flächen verzahnten sich: das Gelbe und das Schwarze, Licht und Finsternis, Tag und Nacht. Wer sich darauf einließ, konnte Vieles für sich daraus lesen, sich aber beim Durchschreiten auch nur an den wunderbaren, farbigen Lichtspiegelungen im Inneren erfreuen.
Heute steht auch dieses Kunstwerk nicht mehr. Im Sommer 2023 hatten sich die schweren Stahlplatten aus unerklärlichen Gründen aus der Vertikalen in südliche Richtung verschoben und waren vermutlich infolge heftiger Stürme im Winter 2023/24 umgestürzt. Sie liegen nun neben ihrem urspründlichen Standplatz und harren ihres weiteren Schicksals.
Auf einer Ausstellung anlässlich „30 Jahre Deutsche Einheit“ im Thüringer Landtag hat der Erfurter Künstler Uwe Steinbrück im Herbst 2020 32 Fotografien der „Verzahnung“ von Josef Linschinger gezeigt. Im Begleittext dazu schrieb er: „Wieder zog sie mich an, wieder lud sie zum Umrunden und zum Hindurchgehen ein. Und wieder suchten unsere Augen beim anschließenden Wandern über die leicht schwingenden Hügel die beiden ineinander verschränkten Stahlflächen, standfest und autonom – KEINEM WIND BEUTE.“ – Drei Jahre später leider doch.
Zustand bei Aufstellung 1994 (Foto: Heidemarie Bierwisch)
Zustand 2024 (Foto: Dr. Hubert Göbel)
Autor: Dr. Hubert Göbel (red. bearbeitet)